Text 14 – 2021

[Tractatus felinus-philosophicus Frida Petersen]

»Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt... Was bedeutet das eigentlich?«, frage ich meine Katze, Mimi.    

Mimi blickt von ihrer Zeitung auf und schaut mich prüfend an. »Seit wann interessierst du dich eigentlich für Sprachphilosophie?«, entgegnet sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Mit ihrer dunkelroten Lesebrille ähnelt sie auf unheimliche Weise einer Schulleiterin. Sie hat einen sehr strengen Blick.

Ich erkläre ihr, dass ich an einem Schreibwettbewerb teilnehme und, dass wir uns von diesem Zitat Wittgensteins inspirieren lassen sollten.

»Ach so…«, antwortet Mimi und kratzt sich den Kopf mit dem Hinterbein. »Hmmm… ich muss gestehen, es ist schon eine Weile her, seit ich Wittgenstein gelesen habe…, aber wenn ich mich richtig erinnere, wollte Wittgenstein damit etwa sagen, dass wir nicht unabhängig von Begriffen denken können. Unsere Sprache beeinflusst also das, was wir denken können. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir unseren eigenen ‚Denkhorizont‘ erweitern, wenn wir neue Begriffe lernen. Wir bekommen, sozusagen, eine neue Perspektive auf die Welt. Ergibt das Sinn?«

»Ja, aber bedeutet das denn, dass man ohne Sprache nicht denken kann? Die meisten Katzen sind nicht wie du, die können ja nicht sprechen. Der kann es jedenfalls nicht – «, sage ich und deute auf meinen fettleibigen Tabby-Kater, Miau Zedong, der gerade auf dem Sofa schläft und dabei laut schnarcht. »Aber bedeutet das, dass er nicht denken kann? Oder dass er nur ‚miau‘ denken kann?«

»Aber natürlich kann er denken! Seine Gedanken sind… hmmm, wie soll ich das am besten ausdrücken… Seine Gedanken sind nur weniger komplex. Er denkt nur an Essen, Schlafen und Sex…«, sagt Mimi und fügt dann hinzu, »aber da unterscheidet er sich wohl nicht so sehr von den meisten Männern.«

Ich muss lachen. »Ich weiß wirklich nie, was du als Nächstes sagen wirst!«

Mimi mustert mich eine Weile. »Aber du redest trotzdem gern mit mir«, sagt sie, nachdem sie einen Schluck Kaffee getrunken hat. »Wenn man darüber nachdenkt, ist es eigentlich unglaublich, welch großes Bedürfnis wir alle haben, miteinander zu kommunizieren, uns auszudrücken, unsere Erfahrungen zu teilen. Weißt du eigentlich, wie viele Wörter eine Person im Durchschnitt am Tag sagt? 16.000 Wörter jeden Tag! Jeden Tag! Das hat eine Studie aus den USA gezeigt.«

»Wirklich, 16.000?! Aber diese Studie wurde wahrscheinlich in Vor-Corona-Zeiten durchgeführt, oder? Jetzt sind es bestimmt weniger im Durchschnitt, denn nicht jeder hat im Moment jemanden, mit dem er sprechen kann.«

»Stimmt«, sagt Mimi und überlegt kurz, »aber zum Glück hast du mich, mit der du sprechen kannst. Wenn du ganz alleine wärst, wärst du bestimmt wahnsinnig geworden.«

»Nee«, sage ich mit einem Lächeln. „Du bist diejenige, die mich in den Wahnsinn treibt! Sag‘ mal, was wolltest du eigentlich mit meinem Laptop heuteMorgen?“

Mimi zögert kurz, aber dann sagt sie, »Ja, ich musste mein Instagram checken. Ich bin jetzt Influencerin geworden, verstehste.«

»Eine Influencerin?!«, sage ich und schüttele meinen Kopf ungläubig. Es gelingt ihr immer, mich von Neuem zu überraschen.

»Ja genau«, antwortet Mimi, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. »Ich arbeite zusammen mit der Katzenfutter-Marke Whiskas. Werde eigentlich relativ gut bezahlt, was… natürlich nicht schadet… sagen wir mal so. Um wirklich emanzipiert zu sein, muss ich ja ein bisschen finanzielle Unabhängigkeit haben. Sonst könnte ich wohl kaum von mir behaupten, ich wäre eine Felinistin

»Felinistin? Du meinst wohl ‚Feministin, oder?«

»Nein! Wie gesagt bin ich eine Felinistin«, antwortet Mimi. »Wenn’s dich interessiert, kannst du mehr darüber in meinem Blog lesen, aber Felinistin zu sein heißt im Grunde, sich für die Rechte der Katzen einzusetzen, die menschlichen Vorurteile gegenüber Katzen zu bekämpfen und eine katzengerechtere Sprache zu fordern.«

»Wow. Viva la revolución! Schluss mit der Bevormundung der Katzen!«, sage ich mit erhobener Faust.

»Hmm… ich vernehme in deiner Stimme eine Spur von Sarkasmus« sagt Mimi.Sie ist sichtlich enttäuscht. »Ehrlich gesagt, hätte ich gehofft, dass du etwas fortschrittlicher und offener wärst…«

»Nee… also so habe ich das jetzt nicht gemeint. Du hast natürlich meine volle Unterstützung, das weißt du doch. Ich habe nur nie gehört, dass jemand eine katzengerechtere Sprache fordert.«  

»Nein, nein in Deutschland geht es ja immer nur um Gendern, aber niemand denkt an die armen Katzen. Das sollte man aber, denn die deutsche Sprache ist da besonders schlimm – warum sagt man zum Beispiel: ‚ich habe einen Kater‘ oder ‚Katzenjammer‘, wenn man Kopfschmerzen hat, weil man sich am vorigen Abend betrunken hat? Katzen können doch nichts dafür, dass die Menschen so doof und verantwortungslos sind! Ich find’s völlig ungerecht!«

»Hmm… stimmt. Darüber habe ich nie nachgedacht. Man sagt auch ‚Muskelkater‘, wenn man Muskelschmerzen nach dem Training hat, was auch nicht gerade positiv ist.«  

»Ja siehst du?!! Wozu eigentlich?! Ernsthaft, wir müssen diese sprachliche Diskrimination von Katzen bekämpfen!«

»Und darum geht es also in deinem Blog?«

»Ja. Unter anderem…«

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert