Text 17 – 2024

[ Ein kaputter Planet findet immer eine Lösung ]

Vor zwanzig Jahren hat unser Planet seine Belastungsgrenze schließlich erreicht. Überbevölkerung. Kein Wasser. Weltweite Verschmutzung und Erwärmungen, die astronomische Maße annahmen. Diese Folgen waren eine Frage der Zeit gewesen. MillionärInnen, MilliardärInnen, PolitikerInnen und Monarchien der Welt versuchten, sich ihren eigenen Ausweg zu erkaufen - weg von der Erde.

Die Idee, Siedlungen auf dem Planeten Kepler-452b zu schaffen, war nichts Revolutionäres. Eine einfache Lösung für all die Probleme, die von Menschen gemacht wurden: „Schickt uns zu einem anderen Planeten“. „Wir sollten neu anfangen“. Außer der Tatsache, dass der Flug ungefähr 30 Millionen Jahre dauern würde, war der Planet Kepler genauso wie die Erde vor dem Anfang der Massenhysterie. Frisches Wasser, Wasserstoff, ein fruchtbarer Boden und eine Vielzahl unterschiedlicher Klimata.

Ebenfalls vor zwanzig Jahren hatte bereits eine einzige Frau auf dieser Welt ein Lösungskonzept vorgestellt. Ein Konzept, was die Mitarbeit und den Zusammenschluss aller WissenschaftlerInnen der Welt verlangen würde. Seit Jahrzehnten bearbeitete sie dieses Projekt, ein allmächtiges Schiff, auf dem man nur 2 Stunden verbringen musste, um den Planeten Kepler zu erreichen. 2 Stunden im Vergleich zu 30 Millionen Jahren ist ja, vorsichtig ausgedrückt, eine gewisse Spitzenleistung. Konstruktionspläne und wissenschaftliche Studien hatte sie schon erledigt. Wo sie Schwierigkeiten begegnet war, war - wie immer -, wenn sie sich Gehör verschaffen wollte. Da war sie, bei allen diesen Weltkrisentagungen, noch vor dem Ausbruch der Massenhysterie, mit der Antwort auf alle Probleme.

Mit dem Ausbruch der Massenhysterie meine ich jenen Moment, als das Weiße Haus verkündete, dass die Notwasserversorgung nur mit eingeschränktem Zugang’, anders gesagt, nur für Menschen mit einer ganzen Menge Geld verfügbar war.

Nun bekam diese Frau, Maria Akbaş, schließlich die Aufmerksamkeit der Welt, die sie verdiente. Von den dunklen Jahren davor rede ich lieber nicht.

Zu sagen, dass es möglich wäre, all die großen Probleme der Welt mit einem einzigen Schiff zu lösen, hielt man für unmöglich. Aber vor zwanzig Jahren waren alle so verzweifelt wie nie zuvor.

Dieses Schiffsmodell war dann nach Monaten der Bauzeit schließlich für die Welt bereit. 1000 Passagiere konnten die Reise nach Kepler antreten. Die Reisen waren kostenlos, aber, wie alles auf der Welt, waren sie nicht für umsonst zu haben: Niemand war vor zwanzig Jahren auf Kepler sesshaft. Deshalb mussten die Reisenden bereit sein, etwas zum Aufbau der Zweiten Welt beizutragen. Neue Städte, neue Produktionsmethoden. Eine neue Regierung und eine neue Demokratie.

Das ist meine Geschichte. Morgen werde ich die Fahrt zur Erde unternehmen. Das Team von WissenschaftlerInnen auf der Erde, einschließlich meines Idols Maria Akbaş, wartet dort auf uns Studierende, um unterschiedliche Tests zu beobachten. Die Lernenden der Universität auf Kepler sind Teil der nächsten Generation, die ein sogenanntes Zwischenleben führen wird – durch das Schiff soll man regelmäßig zwischen den zwei Erden pendeln können.

Das Schiff ist riesig groß. Mit seinen versilberten Rändern und der Gestalt eines Rugbys sieht es so aus, als ob jemand es sich ausgedacht hätte. Und ja, Maria hat das gemacht. Die Fahrt fühlt sich so an wie die Mischung eines Flugs mit einer Zugfahrt.

Die Abfahrt von Kepler war nicht so sonderbar. Als erstes mussten wir das Ende der Welt erreichen. Über Gewässer, durch Höhlen und die Schluchten. Das Schiff folgt einem besonderen Weg, der auf dem Boden markiert war. Man berührte ihn aber nie. Einfach darüber schwenken, wie Hoverboards das machen. Aber dann - was mir zuallererst aufgefallen ist - wandelte sich alles ins Nichts. Durch die Fenster sieht man einfach Sterne einer anderen Galaxie. Das ganze Schiff wird irgendwie kleiner. Wir sind jetzt ein Team, alle Passagiere, zusammen auf dem Weg in unsere damalige Heimat.

Heutzutage ist Raumfahrt aber nichts Außerordentliches mehr. Was echt außerordentlich ist, ist, dass wir die Möglichkeit haben, eine zweistündige Fahrt zu machen, um dann eine komplett neue Wirklichkeit zu beobachten.

Jetzt ist vielleicht der richtige Moment, um euch ein bisschen Kontext zu geben, wie ich Kepler erreicht habe. Ich war ein Kind, als alles explodierte. Ich spreche nicht nur von den buchstäblichen Explosionen als Reaktion der Bevölkerung gegen das Nichtstun der Regierung, gegen die Klimakrise, sondern auch metaphorisch. Die Welt war im Chaos versunken. Jeder sorgte sich nur noch um sich selbst. Hätte die Idee von Maria Akbaş keine oder weniger Aufmerksamkeit von der Welt bekommen, dann wäre ein großer Teil der Bevölkerung jetzt tot. Die Zivilisation wäre auf jeden Fall ausgestorben. Niemand hätte uns, die durchschnittliche Bevölkerung, gerettet. Anders gesagt, die reichsten Menschen der Welt wollten nur sich selbst retten. Sie hatten eine Wahl, und sie haben Egoismus gewählt. Marias Erfindung hat uns allen die Gelegenheit gegeben, ins All zu fliegen, um ein neues Leben ohne eine Belastung durch den Schaden der Menschheit anzufangen.

Und jetzt bin ich wieder zurück auf der ersten Erde, dank ihrer Erfindung.

Die Landung passiert schnell und ereignislos. Wir treten in einen modernen Flughafen ein. Die Erde sieht genauso aus, wie sie mir beschrieben wurde, als ich in der Schule auf Kepler war: So als ob man alles Schlechte wie Verschmutzung und Wassermängel von Keplers Erscheinungsbild wegnimmt. Große Städte, überall Natur– aber wenige Menschen. Jetzt heilen die WissenschaftlerInnen unsere damalige Erde, sodass alle zwischen beiden Welten leben können. Dann hat die Menschheit mehr Chancen, nicht auszusterben, mehr zu erkunden, und auch aus unseren Fehlern zu lernen.

Und das wird für mich und meine Kommilitonen jetzt Realität.

Die Erde ist noch nicht „bereit“. Maria und ihr Team arbeiten hart und verbessern Stücke des Planeten – und jeder Schritt dauert oft Jahre. Heutzutage haben WissenschaftlerInnen die angemessenen Technologien entwickelt, Reparaturen im großen Rahmen vorzunehmen. Dafür brauchen sie uns Studierende. Wir tragen dazu bei, dass alles Schädliches auf der Erde zerstört wird.

Ich und meine MitstudentInnen bereiten uns darauf vor, die harte Arbeit zu beginnen. Uns wurde nicht erzählt, wann wir wieder zurück nach Kepler fliegen werden. Aber ich ehre die Gelegenheit, meine erste Welt zu entdecken. Sogar wenn ich jetzt ihre sehr dunkle Seite sehe und all die Verschmutzung. Die Strahlung. Die Hitze.

Aber es fühlt sich gut an, zu wissen, dass Kepler für mich immer da sein wird. Auch wenn es mich freut, auf der Erde zu sein.

Auf Kepler funktioniert die Regierung, die Demokratie. Jeder hört zu, wenn man miteinander spricht. Keiner nimmt Sachen als selbstverständlich hin.

Wieso?

Kurz gesagt: Alle wissen, was wir verlieren können.

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