[ Meine Dankesrede ]
Einmal, vor etwa 12 Jahren
Als ich mich weigerte, ins Haus zu kommen,
schickte mich meine Mama ohne Abendessen ins Bett.
Sie sagte, verärgert,
„Du kannst nicht einfach den ganzen Abend spielen!“
Mit meinen Fersen im trockenen Sommerdreck schleifend, zerrte sie mich nach drinnen. Drinnen gab es keinen Raum, in dem ich meinen Gedanken freien Lauf lassen konnte.
Ich war ziemlich sauer, denn sie hat mich gar nicht verstanden. Denn ich habe nicht gespielt, sondern gesucht. Ich suchte die nächste große menschliche Errungenschaft.
Der Boden in unserem Garten brachte leider keine neuen Edelsteine oder Mineralien hervor, keine neue alles heilende Pflanze und auch kein neues magisches Insekt. Alles nur Pech.
Obwohl ich nur 6 Jahre alt war, wusste ich, dass die ganze Welt schon entdeckt war.
Philosophen haben an alles gedacht, immer gedacht, gedacht, gedacht. Der Mensch hatte die Elektrizität längst gezähmt. Auch die Tierwelt wurde gezähmt, jeder farbenfrohe Papagei flog mit, jeder Wal schwamm mit.
Eine Welt, in der alles schon gemacht worden ist – was mache ich dann?
Ich hätte gerne alle Gesetze der Physik entdeckt, aber Newton und Einstein waren mir zuvorgekommen. Mathematik hatte bereits alles gelöst und Medizin hatte alle geheilt. Es schien, als ob es nichts mehr zu erreichen, nichts mehr zu entdecken gäbe. Ich habe die Frage noch einmal gestellt, „Was mache ich dann?“
Das Feuer unter dem Topf, mit dem meine Mutter für mich gekocht hat.
Das hätte ich auch entdecken können, wäre ich nur 790.000 Jahre früher geboren worden.
Der Apfel, der vom Stamm fällt.
Schwerkraft, ja, auch schon entdeckt.
Ich erinnere mich an das Gefühl. Alles, was es zu finden gibt, ist gefunden worden. Das Gefühl, dass alle Wunder der Welt verschwunden sind.
Der Apfel fällt sicher nicht weit vom Stamm. Mein Vater empfand dieses Gefühl auch, und deswegen musste er uns verlassen. Und als er uns verlassen hat, hat er dieses Gefühl an mich weitergegeben.
Ich habe es überallhin mitgenommen.
Vielleicht war er nie fort. Naja, wie der Vater, so der Sohn. Für mich, war es diese Verzweiflung, dieses Gefühl von Gewissheit und Ungewissheit zugleich. Die Gewissheit, dass es für mich nichts mehr gibt, und die Ungewissheit, dass ich jemals darüber hinwegkommen könnte. Es begann, als er ging.
Ich glaube, man nennt es „Trauer“.
Das Haus war stiller ohne ihn. Ebenso ein Jahr später. Es war leerer. Ich konnte seinen Platz nicht ausfüllen, kaum meinen eigenen. Das Kopfende des Tisches blieb leer. In dieser Nacht blieb auch meiner leer. Ich lag im Bett, hungrig, traurig. An der Decke tanzten die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos. Ebenso wie die Gedanken in meinem jungen Kopf. Sie drehten sich bis zur Erschöpfung, bis sie auf dem Boden des Ballsaals zusammenbrachen. Zwischen Decke und Boden lag ich jede Nacht.
Ich dachte,
„Morgen wird es vielleicht besser sein.“
Ich würde mit der bitteren Realität aufwachen, dass sich keine Sache geändert hatte. Trotzdem dachte ich jede Nacht bei mir,
„Morgen wird es vielleicht besser sein. Morgen könnte ich es finden.“
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In der Schule war ich brillant, aber meine Gedanken schweiften ab – ich war ein leidenschaftlicher Tagträumer. Träume immer, immer von etwas Besserem. Deshalb liebte ich die Literatur. Ich habe herausgefunden, dass ich selbst ein unzuverlässiger Erzähler war.
„Geht’s dir gut?“
„Ja, ’s geht gut.“
Ich würde in den Spiegel schauen, die Worte „Lügner, Lügner, Lügner“ deutlich in mein Gesicht geschrieben. Ich fühlte mich weder gut noch schlecht – vielleicht sogar beides auf einmal. Weiß nicht. Meistens fühlte ich eine Dringlichkeit. Die Dringlichkeit weiterzumachen. Die Dringlichkeit, eine nicht näher bezeichnete menschliche Errungenschaft zu finden.
Ich habe es geschafft. Mit guten Noten und größeren Hoffnungen. Ich sah es als meine Aufgabe an, die Hoffnungslosigkeit zurückzuweisen, die ihn mir genommen hatte.
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Meine Mutter und mein Vater kamen aus dem Ausland hierher, mit wenig Unterstützung. Sie haben es so sehr versucht. Assimilation - keine leichte Sache. Ich glaube nicht, dass mein Vater jemals seinen Platz gefunden hat. Der Platz meiner Mutter war bei meinem Vater.
Ich habe lange darüber nachgedacht, was anders hätte laufen können. Wie es ihm hätte besser gehen können. Wie er sich gefühlt haben könnte, dass er bei uns bleiben kann.
Man kann sich zu Tode denken. Ich versuche es nicht – aber ich könnte es.
Es hat lange gedauert, das zu verstehen. Es hat lange gedauert, bis ich mich nicht mehr in kindlichen Worten daran erinnern konnte. Wie ein 5-jähriger Junge. Dass er „gegangen“ ist, nicht dass er gestorben ist. Nicht, dass er durch seine eigene Hand gestorben ist, sondern dass er aus freiem Willen gegangen ist. Manchmal denke ich immer noch gerne, dass er „gegangen“ ist.
So bleibt die Illusion erhalten, dass er eines Tages zurückkommen könnte.
Ich möchte auch sagen, dass er mich, als er hier war, zu diesen großen Wissenschaften, Errungenschaften und Theorien ermutigt hat, in denen ich geschwelgt habe, aber er hat es nicht getan. Er war meistens still. Still und leer, ich erinnere mich.
Am Kopfende des Tisches, einem Platz, an dem man sich stolz und vollendet fühlt, saß er leer und niedergeschlagen.
Unterdrückt von seinem alten Verstand, voll von harten Zeiten und Strapazen. Es gab keinen Raum, in dem ich seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte. Kein Raum, um sich sein eigenes Schicksal vorzustellen, kaum das seines Sohnes.
Es ist schwer, loszulassen. So sehr schwer. Muss ich?
Er führte ein bescheidenes, aber schwieriges Leben. Mir in seinem Schatten ein besseres Leben aufzubauen, fühlte sich fast wie ein Verrat an ihm an. Es ist schwer zu sagen, was er sich für mich gewünscht hätte; ich wusste nie, was er sich gewünscht hat. Ich habe ihn nie wirklich gekannt. Ich kannte ihn nur durch seinen Schmerz.
Ich habe es überallhin mitgenommen.
Ich glaube, er hatte keinen Raum für Wünsche. Zu wünschen ist ein Privileg. Er musste leben. Um zu arbeiten. Aufwachen und auftauchen. Pünktlich. Wie die Deutschen.
Es war vielleicht nicht „Leben“, sondern eher „Überleben“, was er getan hat.
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Also habe ich gegraben, geklettert, gelesen, geschrieben – als ich klein war, konnte ich nur daran denken, etwas Besseres zu entdecken. Errungenschaft. Ich wollte die nächste große menschliche Errungenschaft schaffen. Ich war ganz besessen. Um es wiedergutzumachen, um das zu sein, was diese Welt ihm nicht erlaubte zu sein. Alles, was ich wollte.
Ich weiß jetzt, dass ich die ganze Zeit das gemacht habe, wozu er nie die Chance hatte.
Zu genießen.
Um zu leben, und nicht nur um zu überleben.
Um zu genießen, um weiterzumachen, zumindest.
Für alles, was du noch nicht weißt, und alles, was du noch nicht siehst. Für all die Luft, die deine Lungen noch füllen wird, und für jeden Schritt, den du noch machen wirst. Vielleicht war es nie wichtig, der erste Mensch auf dem Mars zu sein, eine tödliche Krankheit zu heilen oder die Zeitreise zu erfinden. Vielleicht geht es einfach nur um das Leben.
Zu leben, und nicht nur zu überleben.
Die Trauer hat mich sicher mehr gelehrt als Bücher es jemals konnten.
Ich habe noch keinen Krebs geheilt. Ich habe den Welthunger noch nicht gelöst und den Weltfrieden noch nicht kultiviert.
Auch habe ich noch keine Edelsteine in meinem Garten gefunden.
Ich bin nie in der Zeit zurückgereist,
obwohl ich es gerne könnte.
Aber jetzt, als Erwachsener, weiß ich, dass ich meine eigene menschliche Errungenschaft entdeckt habe.
In einer Welt, in der alles schon gemacht worden ist, ist es vielleicht wirklich so einfach.
Vielleicht kann die größte menschliche Errungenschaft meine eigene sein.
Meine und seine.
Er hatte keinen Raum für Wünsche, aber er wünschte sich etwas Besseres für mich. Meine größte menschliche Errungenschaft war es, in seinen Schuhen zu laufen. Sein Sohn zu sein.
Ich nehme ihn immer und überall mit.
Ich danke ihm.