[Ein Mann kommt nach Österreich – Lee Morrow]
EINS
2015. Ein Mann kommt nach Österreich. Der Mann, der aus einem fremden Land kommt, spricht zum Publikum. Der Hintergrund ist mit Dunkelheit gefüllt.
Ahmed: Ich steh‘ mit den Träumen von einem besseren Leben auf dem Bahnsteig. Ich bin hier nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zu übertreffen. Ich habe wiederholt gehört, dass die deutsche Sprache schwierig ist. Jetzt kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich die Sprache nicht mehr so herausfordernd finde. Ich, ja ich habe fast nichts zu geben. Ich habe nur meinen Körper und meine Arbeit. Ich habe kein Heimweh, weil es kein Heim gibt. Trümmer. Trümmer sind noch da, aber Trümmer sind kein Land.
(Der Mann schaut auf den Boden und die Lichter werden heller. Die Zeit ist nun vorbei und der Mann arbeitet bei der größten Zeitungsfirma in Wien. Er hat ein langes Gespräch mit seiner Kollegin.)
Seine Kollegin: Ahmed! Es ist wirklich großartig dich zu sehen! Hast du schon mal deine Gedichte fertiggestellt? Wir warten noch auf Carine und dann sind wir bereit. Ich freue mich darauf deine Gedichte zu lesen, um eine andere Perspektive zu gewinnen. Deine bestimmte Perspektive ist immer unschätzbar und ich glaube, dass die österreichischen Leute deine Geschichten anhören müssen.
Ahmed: Klar, ich bin bereit, meine Gedichte vorzulegen, aber ich fand sie ziemlich schwer zu schreiben. Ehrlich gesagt bin ich fix und fertig. Tag aus, Tag ein, bin ich in meinem Büro. Isoliert. Weit weg. Meine Wohnung ist nicht groß genug. (Der Mann schaut auf den Boden und hält dann kurz inne.) Mein Problem ist kompliziert. Mein Kopf ist voller Ideen und ich habe viel zu erklären. Meine Poesie erlaubt mir, meine Ideen besser zu artikulieren. (Der Mann schaut seine Kollegin an.) Leute wollen es nicht, meine Geschichten zu hören. Sie glauben, dass ich ihnen die Arbeit wegnehme. Ich bin so klein. Sie denken, ich bin Gesindel.
Seine Kollegin: Du hast Tomaten auf den Augen! Österreich braucht deine Geschichten. Die Welt braucht deine Geschichten.
Ahmed: Und warum? Es gibt fast keine guten Gründe dafür. Für die Österreicher bin ich nur ein Fremder, der Deutsch gelernt hat.
Seine Kollegin: Natürlich nicht! Du arbeitest in der größten Zeitungsfirma Wiens. Du hast eine Stimme, die das Leben der anderen verändern kann.
Ahmed: Ich drücke dir die Daumen… (der Mann hat ein trauriges Gesicht und sieht enttäuscht aus.)
ZWEI
Eine Woche vergeht. Ahmed sitzt auf einer Bank in einem schönen, malerischen Park. Er entschied ein neues Gedicht zu schreiben, aber Burschen nähern sich ihm. Die Sonne verschwindet.
Die Burschen: Hey! Arschgeige! Warum sitzt du auf unserer Bank, in meiner Heimat? Hast du in deinem Land keine Sitzgelegenheit? Unglaublich. Auch in Syrien und im Irak gibt es Bänke. (Die Burschen lachen zusammen.) Naja, ich möchte wissen. Kannst du Deutsch? Oder bist du wie die anderen? Die Jammerlappen?
(Die Burschen lachen weiter. Ihre Gesichter verändern sich schnell. Sie sehen wütend aus.)
Ahmed: Burschen, ich bin Österreicher. Ich bin der echteste Österreicher, den ihr finden könnt. Ich blute das gleiche Blut, das Sie bluten. Ich spreche dieselbe Sprache wie Sie. Mein Heimatland ist nicht Österreich, und doch ist Österreich meine wahre Heimat. Hier lebe, arbeite, esse und schlafe ich.
(Ein Junge unterbricht ihn mit Wut.)
Der Junge: Du bist aber kein Österreicher! Du bist… bist… anders!
Ahmed: Und warum findest du, das was anders ist, beängstigend?
Der Junge: (er lacht und grinst.) Ich hab‘ keine Angst. Ich bin mächtig und werde immer besser als du sein. Klug bist du nicht. Das kann jeder sehen.
Ahmed: Ich versuche nicht klug auszusehen. Mein Punkt ist, dass du kein Verständnis dafür hast, warum ich eigentlich hier in deinem Land bin.
Der Junge: (lacht weiter) Ich brauche mir nicht deine Punkte anzuhören. Es ist offensichtlich. Menschen wie du wollen sich nur nehmen, was ihnen nicht gehört. Sie wollen nicht geben, sondern nur nehmen. Jeder kann es in den Nachrichten sehen!
(Die Burschen sehen sein Notizbuch an. Sein Notizbuch enthält seine Gedichte. Der Mann hält sein Notizbuch fester, damit die Burschen es nicht mitnehmen.)
Die Burschen: Gib uns dein Notizbuch.
Ahmed: Es gibt wirklich keinen Grund… (Er wird unterbrochen.)
Die Burschen: Gib. Uns. Dein. Notizbuch. Ich werde nicht noch einmal fragen.
Ahmed: Es tut mir wirklich leid, aber ich habe keine Willenskraft, das Notizbuch auszuhändigen. Es enthält nur Gedichte und das ist alles. Langweilig. Stumpf.
(Die Burschen sehen einander an und entschieden, dass sie Ahmed heftig angreifen werden. Gewalt ist der einzige Weg, er wird ihnen das Buch geben. Sie springen auf ihn und packen seine Arme. Viele Menschen gehen an dem Angriff vorbei und schauen nicht hin.)
Ahmed: Bitte aufhören! Habt ihr einen Vogel? (Er schreit) Ich habe auch eine Familie und einen Beruf. Ich hab‘ Verantwortung und Botschaften zu vermitteln!
Der Junge: Du hast Verantwortung, ruhig zu bleiben!
(Der Angriff geht weiter. Dunkelheit erscheint und die Beleuchtung wird gedimmt.)
DREI
(Eine Stunde vergeht. Der Geist von Ahmed steht neben den Burschen und bleibt ruhig, ungestört. Das Bühnenbild wird heller und die Burschen sehen stolz aus. Ahmed wendet sich erneut an das Publikum.)
Der Geist von Ahmed: Für manche war ich nie ein echter Österreicher, weil ich weder hier geboren noch hier ausgebildet wurde. Österreich ist meine Heimat. Ich habe während meiner Zeit auf der Erde festgestellt, dass sich die Menschen spalten. Wir haben viele Gründe dafür. Wir sprechen verschiedene Sprachen, wir sehen anders aus, wir haben verschiedene Dialekte, wir essen anderes Essen. Manche von uns sind reich, manche sind leider arm. Ich schaue auf mein Notizbuch und lese meine Gedichte, die ich kürzlich geschrieben habe. Österreich definiert Kultur. Österreich definiert Frieden. Mein Typ Mensch ist hier nicht so verbreitet und deshalb wurde ich nie als Österreicher gesehen. Ich bin kein Soldat, aber ich habe für meinen Platz gekämpft.
(Der Vorleser liest ein Gedicht laut vor und es sind Bilder von Österreich und Flüchtlingen zu sehen. Tiefe, intensive Musik wird gespielt.)
Heute früh, nach guter durchschlafener Nacht,
bin ich wieder aufgewacht.
Ich hab‘ meinen aromatischen Morgenkaffee,
warm und frisch.
Ich sitze auf meinem Balkon, geräumig und sauber,
Die österreichische Sonne wird von einem Brandstifter angezündet,
der Schnee liegt in den Bergen, weit weg aber gleichzeitig in der Nähe.
Die Luft riecht sauber, voller Kultur und Kunst.
Österreich ist ein Land für jeden,
grenzenlos und weit.
Ich bin nur durch Sprachbarrieren an mein Heimatland gebunden,
ohne die Fähigkeit auf Deutsch zu reden, kann ich mich nie integrieren.
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ ist die Wahrheit.
Ich fühle mich als Österreicher, frei und glücklich,
bin ich nur durch Sprachbarrieren an mein Heimatland gebunden.
Ich bin die Bedeutung von Österreich.
Schwarzenbergplatz,
schön, fein, hübsch, einladend.
Ich hatte dieses Land in mein Herz geschlossen.
Bruder ich wünschte, du könntest besser verstehen, dass meine Liebe für dieses Land unglaubwürdig, vielleicht sogar unendlich ist.
Süß ist die Liebe, doch bitter der Hass.
Ich frage mich, „Oh, Österreich, liebst du mich auch?“
Der Geist von Ahmed: Ich bin gestorben, aber Österreich wird immer meine Heimat sein. Ich bringe andere Perspektiven. Ich verlasse mit den Österreichern Toleranz, Verständnis, Geduld und Aufmerksamkeit.
(Die Bühnenlichter verblassen und das Weinen von Kindern ist zu hören. Auch Lachen und Gespräche sind zu hören. Als die Aufführung endet, hören wir Vögel singen.)
(Ein Erzähler schließt mit den Worten: Toleranz. Ahmed war ein ehrlicher Mann, der sein Herz in Österreich gelassen hat. Sein Leben hatte viele Schicksale und viele Herausforderungen, aber seine Botschaft muss eine Botschaft an alle sein. Was man nicht kennt, fürchtet man. Österreich ist ein Land, das Hoffnung und Unterstützung bietet. Ein Mann kam nach Österreich. Er ist einer von vielen Menschen.)
ENDE
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