Text 11 – 2021

[Gebabbel über Babel Jan Brandenburg]

Es waren nun schon einige Tage vergangen, seitdem der Turm in sich zusammengefallen war. Jeder schob die Schuld auf jemand anderen - die Priester auf die Bauplaner, die Bauplaner auf die Arbeiter, die Arbeiter auf die Priester und die Mehrheit verfluchte Gott selbst. Keiner hörte dem anderen mehr zu und es war, als würde keiner den anderen verstehen, als würde jeder seine eigene unverständliche Sprache sprechen. Fakt war, dass es nie einen Moment gab, wo alle Menschen eine einzige linguistische Sprache gesprochen haben. Aber sie alle sprachen eine gemeinsame Sprache in der Form ihres Bestrebens.  Der Turmbau war ein gigantisches kollektives Projekt, welches etliche Menschen zusammenbrachte. Demnach war der Turm das Schlüsselglied, das all diese Menschen zusammenhielt. Der Tag, an dem er zusammenbrach, war auch der Tag, an dem all diese Menschen wieder der Zwietracht verfielen. Es war eine Tragödie, die den ganzen Aufwand als belanglos erschienen ließ. Zwar war kein Mensch während des Turmfalls umgekommen, jedoch war all die Arbeit von Generationen nun zerstört. Die Ressourcen, die aufgebracht worden waren in Form von Materialien, Opfergaben und Widmungen, Zeit, mentalen und physischen Aufwand, Logistik, Transport, Handel und weiteren sollten nun zunichte sein. Und wer wäre besser geeignet als Sündenbock für all dies, als der Gott, welchem der Turm gewidmet war. Es schien aber so, als hätten jene Menschen etwas Wichtiges vergessen woraufhin sich einer von ihnen aufmachte, um danach zu suchen.

Dieser Mensch saß nun auf einem Hügel und sah auf die Trümmer des Turms hinab. Er fragte sich, welche Rolle Gott in der ganzen Sache wirklich gespielt haben soll. Zur großenÜberraschung des Menschen gesellte sich Gott zu ihm, um selbst einen Blick auf die Überreste zu werfen. Eventuell kam es zu einem Diskurs, aber genaues ging mit der Zeit verloren. Der Mensch hatte viele Fragen und Gott beantwortete manche, andere ließ er offen. Der Mensch wollte wissen, ob Gott selbst den Turmbau manipuliert habe. Gott seinerseits fragte daraufhin, woher die Annahme der Menschen käme, dass Gott Allmächtig sei. Sei es, weil ein Mensch es mal behauptet habe? Oder sei es vielmehr, weil dann vieles einfacher zu erklären sei? Wären dann nicht alle Fragen eines Allmächtigen Gottes rhetorisch? Er habe den Turm nicht angerührt und so erklärte Gott dem Menschen, wie Physik dieses Bollwerk der Menschheitsgeschichte in den Boden zu stampfen vermochte. Gott erklärte auch, dass die Menschen in den Wolken letztendlich Gottes Reich nicht gefunden hätten. Eines Tages würden Menschen auf ihrer Suche eventuell größere Türme bauen und vielleicht selbst auf dem Mond stehen. Letzteres klang komisch für den Menschen, aber wenn Gott es behauptete, musste es wohl irgendwie Sinn machen. Der Mensch bat Gott darum ihm zu erklären, warum Menschen sich so schwer tun miteinander zu kommunizieren und vor allem jetzt nach dem Turmfall, wo Kommunikation essenziell gewesen wäre. Gott schaute ernst auf die Trümmer hinab, gab aber keine definitive Antwort und schlug dem Menschen stattdessen vor, sich gemeinsam Gedanken über dieses Problem zu machen. So kam es zu einem inspirierenden Gespräch über das Hauptwerkzeug jeglicher Kommunikation, der Sprache. Von den kleinsten Körpergesten bis hin zu den komplexesten gesprochen Ausdrücken - sie alle haben etwas Simples in sich gemein: alle können und werden oft missverstanden. Fügt man diesem Rezept auch noch die natürliche, menschliche emotionale Instabilität hinzu und die Fähigkeit zu lügen, bekommt man einen schönen Brei voller Verwirrung. Der Mensch fing an zu verstehen als ihm dann die Frage in den Sinn kam, die Gott fast immer bei Gesprächen mit Menschen gestellt bekommt: Warum hast du uns so erschaffen? Oder einfach nur: Warum? Gott gibt auf diese Frage nie eine Antwort, denn es existiert keine Antwort, die alle akzeptieren oder glauben würden. Es gab schon genug Streit um die Frage, ob Gott einen Namen habe, ob Gott Einer oder Viele sei, welche Moral und Tugenden Gott verkörpere, ob Gott überhaupt existiere und welche Sprache denn Gottes Sprache sei. Der Mensch verstand die Lage und formulierte seine Frage um: Ob Gott die vielen Sprachen der Menschen geschaffen habe. Gott kam daraufhin auf das Beispiel der vielen Namen zurück, welche Gott gegeben wurden. Diese schließen das Wort „Gott“ selbst mit ein, aber dass er sich selbst keinen dieser Namen gab. Alle Wörter und Gesten der Menschen sind frei erfunden, kopiert oder ein Mischmasch aus beiden. Die Welt sieht überall anders aus und da Menschen allem einen Namen gäben - selbst Dingen, die sie nicht sehen können - fände man überall, wo man fremde Menschen treffe auch fremde Wörter. Der Mensch überlegte, dass in dem Fall, wo jemand alle diese Sprachen beherrschen würde, dann jeder diesen Menschen verstehen können sollte. - Aber dann runzelte der Mensch die Stirn, da dennoch auch jener Gott nicht verstände. Gott warf ein, dass ein solcher jemand dennoch andere besser verstände als die meisten ohne diese Fähigkeit. Dieser jemand könnte sich selbst sehr gut kennenlernen während er Sprache an sich kennenlerne. Er könne aber trotzdem dort scheitern, wo jemand mit weniger Verständnis Erfolg habe. Der Mensch war noch aufmerksamer geworden und fragte, ob Gott über die Liebe spräche. Gott hielt kurz inne, dann fuhr er fort und bemerkte, dass „Liebe“ ein menschliches Wort sei, welches eine Vielfalt an Bedeutungen in sich trüge. Jemanden auf die verschiedensten Arten und Weisen gern zu haben und jemanden so gut wie möglich zu verstehen hänge zwar oft eng zusammen, aber Verständnis und Attraktion sind dafür bekannt, dass sie nicht immer Hand in Hand gehen. Gott fügte hinzu, dass das gänzliche Verständnis seiner selbst schon eine Aufgabe fürs Leben sei. Der Mensch wollte nun wissen, ob Gott sich selbst als perfekt verstehe. Dazu meinte Gott nur, dass Menschen seine Wege mysteriös und unerfindlich fänden. Worauf sich der Mensch fragte, ob Gott zu Ironie fähig sei, da dies einige Menschen wirklich über Gott dachten.

Der Mensch bemerkte dann, dass es nicht einfach sei Gedanken in Sprache umzuwandeln und desto komplizierter der Gedanke sei, desto komplizierter würde es, diesen mit anderen zu teilen - worauf Gott dem Menschen einfach nur einen Stein in die Hand gab. Der Mensch betrachtete den Stein, verstand aber nicht Gottes Absicht hinter dieser Geste. Gott erinnerte den Menschen an das, was der Mensch gerade erst erörtert habe und meinte, dass diese Geste in den Augen von manchen alles Mögliche bedeuten kann und in den Augen von anderen bedeutet sie nicht wirklich etwas. Interpretation kann oft zu etwas führen, was nichts mit dem Interpretierten zu tun hat. Die Wahrheit hinter dem Original ist vielleicht für immer verloren, aber die Vorstellungskraft des Interpreten wurde geweckt und sollte dieser diese mit anderen teilen, kommt es zum Austausch von Gedanken, zur Kommunikation.

“Die Frage, die Du Dir jetzt stellst, sollte auch Deine Antwort sein. Warum sollte man Gedanken ohne Grund austauschen und diese nicht einfach für sich behalten? Vielleicht einfach nur darum.“

Der Mensch schreckte auf! Diese Stimme war so schnell wieder weg, wie sie aufgetaucht war und Gott war auch verschwunden. Aber jetzt hatte der Mensch das Gefühl eine Antwort auf seine Frage zu haben, vielleicht eine offensichtliche und vage Antwort, aber eine Antwort. Selbst wenn der Turm nicht mehr war, blieben die Erfahrungen, die während seines Baus gemacht worden sind. Freundschaften und Familien sind durch den Bau entstanden. Menschen von überall kamen aus den verschiedensten Gründen zusammen, um Teil dieses Ereignisses zu werden. Ein gemeinsames Schaffen, dass den Menschen eigentlich gezeigt haben sollte, wozu sie gemeinsam fähig waren. Dennoch waren sie dabei, sich selbst wieder einzugrenzen. Statt im Angesicht eines Fehlschlags zu versuchen, das Gute im Versuch zu sehen, wollten sie alle nur wieder auf sich selbst hören und ihre eigene persönliche Sprache sprechen - genau das Gegenteil von einer verbundenen Welt, welche aus dem Zusammenhalt vieler persönlicher kleiner Welten besteht und hervorgebracht wurde, durch die gemeinsame Nutzung von Worten. Solch eine Welt hätte für immer in Tinte geschrieben sein können. Nur, wie bringt man ohne Verstehen eine in sich verschlossene Welt dazu, in Harmonie mit anderen zu koexistieren?

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