Text 10 – 2022

[ Ich möchte in einer Welt leben, in der man träumen kann.
/ Valeria Pasat
]

 

Überall und ständig wird es gesagt, gehört und gelesen, dass man Träume haben, leben und verwirklichen müsse, dass man nur durch einen Traum zu einer Berufung, dem Glück, der Liebe und dem Lebenssinn komme, dass man alle Hürden und Probleme auf dem Weg zu einem Traum optimistisch beseitigen und dabei nur positiv denken müsse. Egal, was für einen Traum man hat – das ist schon ein Muss, ein Trend geworden, irgendeinen Traum unbedingt erfolgreich zu realisieren. Fotos von glücklichen, lächelnden und erfolgreichen Menschen sowohl in neuen als auch in alten Medien wie Instagram, Facebook, Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen erinnern uns immer wieder daran, dass alle ihre Träume schon erfüllt haben, dass alle schon längst glücklich und erfolgreich geworden sind, nur du allein bleibst immer noch auf der Stelle in einer langen Warteliste zu deinem Traum und Glück…

Was ist eigentlich ein Traum? Wovon träumen wir? Dürfen Träume nicht nur groß, sondern auch klein sein? Müssen wir uns schämen, falls es uns nicht gelingt, unsere Träume zu verwirklichen? Muss ein richtiger Traum universell sein, oder kann man auch nur für sich allein groß träumen? So viele Fragen, die nicht leicht und eindeutig beantwortet werden können.

Einerseits ist ein Traum etwas Intimes und Persönliches. Manche Menschen haben einen lebenslangen Traum, andere haben ihn nur für einen kurzen Moment. Träume sind verschieden, abhängig davon, unter welchen Umständen man lebt, wie der Mensch tickt, was ihm fehlt.  Für ein hungriges Kind aus Afrika könnte ein Traum ein Teller mit warmer Suppe sein. Für Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak, oder der Ukraine Sicherheit und Geborgenheit, für einen Obdachlosen ein Dach über dem Kopf. So banale und einfache Träume!  Der graue Alltag um uns herum beraubt uns der Möglichkeit, uns ein anderes, schönes Bild vom realen Leben vorzustellen, deswegen geben unsere Visionen von einer imaginären, idealen Zukunft uns Kraft, Strapazen durchzuhalten und schwere Momente zu überleben.

Aber nicht nur in komplizierten Phasen des Lebens träumt man. Kinder träumen immer davon, so schnell wie möglich erwachsen zu werden. Wissenschaftler träumen davon, eine einzigartige Entdeckung zu machen, Schriftsteller davon, einen Bestseller zu schreiben. Einige träumen von einer wahren Liebe, die anderen von einer treuen Freundschaft. Der eine träumt vom Großen, der andere von einfachen Dingen, aber jeder ist sich der großen Bedeutung eines Traums bewusst. Ein Traum gibt uns enorme Kraft. Er treibt den Fortschritt voran. Haben Menschen vom Fliegen geträumt? Heute sehen wir, wohin die Träume geführt haben: Sie haben in den Weltraum geführt. Der Mensch hat auch die höchsten Gipfel und die dunkelsten Tiefen erreicht und hört dabei nicht auf, weiter zu träumen.

Ja, die Menschen müssen träumen, um ihre Gedanken im Leben zu verwirklichen, um ihren Weg zum Erfolg zu finden, um voranzukommen. Die Ziele eines Menschen ergeben sich aus einem Traum. Ein Traum sind die Gedanken und Wünsche eines Menschen, während das Ziel eine Handlung ist. Die Verwirklichung eines Traums ist eine Geschichte von Versuchen, Fehlern und Siegen. Ein Traum hebt einen Menschen über das gewöhnliche Leben empor und gibt dem Leben einen Sinn. Ein Traum verleiht einem Menschen Flügel und Segel und ein Ziel, nach dem er strebt. Ein Traum ist eine Art Motor, der uns zu einem Ziel bewegt. Träume sind eine Möglichkeit, in eine Welt einzutauchen, in der man glücklich ist. Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen, dass die Fähigkeit zu träumen eines der wichtigsten Merkmale eines glücklichen und erfolgreichen Menschen ist. Aber nicht nur Glückliche und Erfolgreiche können träumen! Ein Traum malt das Leben in bunten Farben und füllt es mit guten Dingen. Traum, Glaube und Hoffnung gehören immer zusammen. Sie helfen im Hier und Jetzt zu leben, an die Zukunft zu glauben und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Doch leben wir heutzutage in so einer Welt, wo man Träume mit materialistischen Zielen verwechselt. In der heutigen Zeit der zunehmenden Globalisierung strebt man meistens nur nach materiellen Werten. Man möchte eine Kariere aufbauen, eine gute Position in der Gesellschaft erreichen, viel Geld verdienen und Erfolge feiern. Aber möchte man das wirklich oder sind das nur Verpflichtungen und Ziele, die uns unsere Gesellschaft vorgibt? Erfüllen wir unsere eigenen oder gesellschaftlich auferlegten Träume?

Wir werden Opfer unserer Gesellschaft und sind gezwungen, die Ziele zu verfolgen, die unsere Gesellschaft uns vorgegeben hat. In diesem Streben nach materialistischen Zielen, finden wir keine Zeit, um uns vom Wettlauf um Wohlstand und Glück kurz zu distanzieren und sich einfach zu fragen, was ich wirklich möchte, wovon ich richtig träume? Man befindet sich in einem Hamsterlaufrad und versucht, in rasendem Tempo fiktiven Träumen nachzujagen. Das schafft nur Druck, Unzufriedenheit, Frustration, Neid, Aussichts- und Hoffnungslosigkeit. Man bekommt das Gefühl, den Träumen ständig hinterher zu laufen.

Die heutige Beschleunigungsgeneration wird nur müde und rastlos in diesem Rennen um einen Traum. Bei der Verfolgung unserer Träume von einer erfolgreichen Karriere, opfern wir oft unser persönliches Glück, unsere Chance, eine Familie zu gründen, eine Mutter oder ein Vater zu werden, weil wir auf dem Weg zu unseren Träumen Vieles aufgeben müssen. Oder umgekehrt, um ein Kind aufwachsen zu können, verzichtet eine Frau oft auf ihren beruflichen Traum. Jeder Traum, jedes Glück hat seinen Preis, wie Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Das Ideal“ sagte: „Tröste dich! Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Dass einer alles hat – das ist es selten!“

Wovon wir auch träumen wollen, wir müssen eine Entscheidung treffen, was nicht immer leichtfällt. Und wie schon bekannt, ist die Wahl eine Qual. Obwohl ein Traum nur mit Freiheit und etwas Positivem verbunden sein soll, wird man heutzutage oft gezwungen, auf persönliche Träume zu verzichten, um die von unserer Gesellschaft aufgezwungenen Träume zu verwirklichen.

Viele Leute auf unserem Planeten träumen von etwas, aber leider können sie ihre Träume auf Grund des Krieges, des Unglücks, der hoffnungslosen Armut, oder einer schweren Krankheit nicht verwirklichen, doch dann ist es gut, wenn andere für diese Leute träumen können. Dann kann so ein Traum auch andere Leute inspirieren, um gemeinsam zu träumen, all das Wissen und Können zu nutzen, um etwas gemeinsam zu erreichen. Die Geschichte kennt berühmte Namen von vielen Träumerinnen und Träumern – Leonardo da Vinci, Nicola Tesla, Jules Verne, Mutter Theresa, Kofi Annan, Alexander Fleming, Steve Jobs und vielen anderen, die ihre Träume zum Wohl der Menschheit verwirklicht haben. Denn anderen Leuten zu helfen und zu dienen, kann auch ein wunderschöner Traum sein. Dann dient der Traum dazu, etwas sehr Wichtiges und Bedeutsames nicht nur für sich selbst, sondern auch für Mitmenschen und die Welt zu schaffen.

Wir alle brauchen Träume. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Träume groß, klein, bedeutend oder leichtsinnig sind. Ohne sie kann man kein erfülltes und glückliches Leben haben. Trotz allem ist es wichtig, den Traum zu leben, denn es hilft, persönliche Wunden und Schmerzen zu überwinden. Oft ist ein Traum eine Kehrseite eines großen Verlusts oder Schmerzens aus der Vergangenheit. Dabei muss aber die Angst vor dem Scheitern oder der Veränderung überwunden werden. Einen Traum zu leben, ist eine gute Motivation, das zu erreichen, was man begehrt, wonach man strebt. Manchmal scheint es, dass man das Unmögliche träumt, man darf aber nicht aufhören, weiter zu träumen und näher zum Ziel zu kommen. Groß oder klein zu träumen, nur für sich allein oder für andere – es ist egal, die Hauptsache ist, einfach zu träumen, denn so werden wir glücklicher und nur glückliche Menschen können das Glück mit anderen teilen und es weitergeben.

Manchmal kommt es vor, dass Träume aufgrund unvorhergesehener Umstände und Ereignisse nicht verwirklicht werden können. Wie die Realität zeigt, sind wir von Umständen höherer Gewalt sowohl auf globaler als auch auf persönlicher Ebene abhängig: Umweltkatastrophen, Kriege, unheilbare Krankheiten, Tod, oder Unglück. Aktuelle Ereignisse wie die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben uns veranlasst, unsere Träume zu überdenken und den Begriff „Traum“ völlig neu zu definieren. Kaum hatten wir uns von der Pandemie erholt, ereignete sich eine weitere Katastrophe: ein Krieg, der die ganze Welt sowohl politisch als auch wirtschaftlich betrifft. Damit hat niemand gerechnet. Keiner war darauf vorbereitet. Wie können wir unter solch schwierigen Umständen planen und träumen?! Wenn Bomben im XXI. Jahrhundert im Herzen Europas explodieren, ist es unmöglich, von etwas anderem zu träumen, als davon, dass all das bald vorbei ist, damit es keine Kriege, Schmerzen und Leiden mehr in der Welt gibt!

Die Welt hat erkannt, dass es unmöglich ist, in Isolation zu leben. Es ist unmöglich, glücklich in einer unglücklichen Welt zu sein, weil wir alle ein Teil eines Ganzen sind. Wir beeinflussen uns gegenseitig. Unser Wert ist es, dass wir alle anders sind, und gleichzeitig liegt unsere Stärke in unserer Einigkeit, in unserem gemeinsamen Wunsch zusammen zu überleben, Krankheiten zusammen zu besiegen und den Frieden in der Welt zusammen wiederherzustellen. John Lennon hat gesagt: „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit“.

Träumen bedeutet für mich, für Ideale, Ideen zu kämpfen, nicht aufzugeben, zu gewinnen oder zu verlieren, aber wieder aufzustehen, um das Ziel zu erreichen, trotz allem leben zu wollen, um selbst glücklich zu werden und anderen Glück zu schenken. Die Ereignisse in letzter Zeit haben gezeigt, dass, um glücklich zu sein, man so wenig und gleichzeitig so viel braucht: Gesundheit und Frieden – zwei schlichte und wichtigste Träume, die immer neu bewertet und wiederentdeckt werden müssen. Träumen bedeutet auch, eine Welt zu schaffen, in der wir frei sind, nicht nur um zu träumen, sondern auch, um unsere Träume verwirklichen zu können.

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