[ Wovon die Kinder aus dem Osten träumen
/ Debora Postulkova ]
Maschinenpistolen im Treppenhaus dann wache ich mit Bauchschmerzen auf. Und ich weiß nicht was ich sagen soll, oder ob ich etwas sagen darf, weil ich kein Opfer bin, und nicht aus dem Land komme, aber meine Eltern haben russische Panzer in den Straßen erlebt, und die Geschichte wiederholt sich irgendwie immer. Und ich bin erschöpft und fühle, dass wir zurück im 19. Jahrhundert landeten, in dem keine Gesetze und keine Regeln und keine Versprechen ohne Gewalt galten und es gab auch keine Menschenrechte.
Wir haben keine Kapazität, sich mit dem Ding ständig auseinanderzusetzen, doch es bleibt immer tief im Hintergrund versteckt und wartet auf die beste Gelegenheit, herauszubrechen, die Konzentration zu unterbrechen und manchmal ein paar Tränen auszulösen. Ich bin tief mit der Geschichte verbunden, ob ich das mag oder nicht und manchmal will ich zurück nach Hause fliegen und alles sehen und irgendwie den Flüchtlingen vor Ort helfen.
Stattdessen bin ich tausende Kilometer entfernt, im Westen, in der alltäglichen Routine festgesteckt und arbeite, koche, wasche meine Kleidung und bin froh, dass ich das tun darf, froh, dass mein Leben ein bisschen langweilig ist.
Ich wollte ursprünglich etwas Humorvolles schreiben, denn die Welt ist wirklich schön und bunt, und jeder Frühling bringt eine neue Hoffnung und wir sollten doch diesen ganzen Aufenthalt auf der Erde nicht so ernst nehmen. Aber ich weine immer ein bisschen da drin, wenn ich die Nachrichten lese und die Mütter mit Kinderwagen sehe, die auf dem Weg sein müssen und auf unseren Bahnhöfen aussteigen, die zwar ähnlich aussehen, wie die in ihrem eigenen Land, aber gleichzeitig völlig fremd wirken. Also wasche ich meine Kleidung und putze die Fenster und schmiere mir ein Brot, genauso wie meine Großmutter Brote für ihre Kinder schmierte, als die Panzer damals im August ankamen und der Prager Frühling vorbei war.
Und die Kinder aus dem Osten träumen von den zerstörten Straßen, die ähnlich aussehen, wie die in ihrer eigenen Heimat, davon, was damals in ihren eigenen Straßen passierte, von schrecklichen Sachen, die sie nicht ganz begreifen können, aber gleichzeitig alles verstehen, denn Schmerz und Gewalt verstehen wir ja alle. Und manche verstehen nur das, und besonders die Gewalt, daher sind wir heute im Arsch. Und jeden Morgen wachen die Kinder auf und schauen auf dem Weg zur Arbeit, ob der Präsident noch lebt, oder ob der andere schon durch ein Attentat umgebracht wurde, denn für Despoten ist der Tod das einzige mögliche Ende ihrer Karriere. Später in der Mittagspause denken wir über die Umstände der Bevölkerung, die (Un)Möglichkeit der Demokratie und jedes Kind hat auch seine eigene geopolitische Analyse.
Abends fragen wir nach der psychischen Gesundheit des Verbrechers, vielleicht sogar nach seiner Kindheit. Vielleicht braucht es ja keine tiefe psychoanalytische, intellektuelle Erklärung. Vielleicht sind manche Menschen einfach Bestien. In ein paar Wochen wird der Sturm wieder zu einem neuen Normal, aber wir die Kinder aus dem Osten werden ihn nie vergessen. Denn die Geschichte wiederholt sich irgendwie immer.