Text 10 – 2023

[ Die Welt von Morgen ]

Personen
Stefan Zweig, pazifistischer Schriftsteller
Rainer Maria Rilke, Dichter
Konrad Adenauer, Politiker
Hannah Arendt, politische Philosophin
Karl Popper, Wissenschaftler und Philosoph
Albert Einstein, engagierter Wissenschaftler
Immanuel Kant, Philosoph
Friedrich Engels, sozialistischer Politiktheoretiker

Wien, 2023. Ein gut eingerichteter Salon im Secessionsstil in einer Wohnung an der Ringstraße. An den Wänden sind bunte Tapeten mit Blumen- und Pflanzenmotiven, und auf dem Boden ist ein weißer Teppich mit großen schwarzen quadratisch-gestrichelten Mustern. Im Hintergrund steht ein niedriger Mahagonischrank mit Glastüren. Gegenüber stehen ein schwarzes Ledersofa und mehrere gepolsterte Sessel, die einen Art-déco-Kaffeetisch mit einer Vase und blauen Blumen darauf umgeben. An der Seite, neben einem breiten Fenster mit dicken Vorhängen, ein großer Fernseher, auf dem die Mittagsnachrichten laufen.

Journalistin, (im Fernsehen). Auch heute haben extremistische Aktivisten der Letzten Generation die Kennedybrücke besetzt und die Wiener daran gehindert, nach ihrem Arbeitstag nach Hause zu gehen. Was tun die Polizei und die Regierung angesichts der zunehmend wilden Demonstrationen?

Konrad, (seufzend). Ach herrjemine! Immer diese unzufriedenen Sozialisten…

Albert. Unzufriedene Sozialisten? Sie protestieren doch für die Zukunft der Menschheit!

Konrad. Die nerven nur alle mit ihrem erfundenen Grund... die sollten sich lieber einen Job suchen.

Albert. Der Klimawandel ist keine erfundene Sache, es ist ein dringendes Problem!

Konrad. Ja, ja...

Karl. Komm schon, Konrad, du kannst nicht leugnen, dass der Klimawandel von höchster Wichtigkeit ist und dass nichts dagegen getan wird.... Ich glaube einfach nicht, dass es etwas bringt, wenn wir uns hinsetzen und halb Wien verärgern.

Albert. Wenn es groß genug wird, werden die Politiker vielleicht gezwungen sein, anzuerkennen, dass die Menschen unzufrieden sind, und sie werden Maßnahmen ergreifen müssen.

Konrad. Sie werden nichts tun müssen, diese wilden Demonstranten sprechen für niemanden.

Friedrich, (entrüstet). Was? Wie kannst du das sagen? Die Politiker sind dazu da, die Interessen des Volkes zu vertreten, so funktioniert das in einer Demokratie, Konrad. Aber nein, euch Politikern ist das egal. Ihr tragt nur zur Ausbeutung der Arbeiterklasse bei und ihr habt jedes Mal Angst, wenn sie ihre Bedenken äußern. Für euch ist nichts wichtiger als euer geschätzter Kapitalismus, nicht einmal die Zukunft der Menschheit. Diese Welt braucht eine Revolution und sie wird auf der Straße beginnen, glaubt mir. Ihr habt Glück, dass diese Proteste noch friedlich sind.

Hannah. Friedrich, ich freue mich über deinen Enthusiasmus, aber die Proteste müssen friedlich sein. Das ist der Kern des zivilen Ungehorsams. Wenn wir der Gewalt nachgeben, sind wir nicht besser als diejenigen, gegen die wir kämpfen. Die Achtung der Gesetze und der Ordnung ist unerlässlich.

Immanuel. Das ist sehr interessant... du behauptest, das Gesetz zu respektieren, und doch widersetzt ihr euch ihm.

Konrad, (murmelt vor sich hin). Das ist nicht interessant, sie sind nur Störenfriede.

Immanuel. Aber jeder darf nur nach derjenigen Maxime handeln, durch die er oder sie zugleich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz wird. Das ist ein kategorischer Imperativ, an den sich jeder halten muss. Wenn du so protestierst, akzeptierst du, dass jeder rebellieren kann und wird, und es wird nur Chaos geben: es wird das Ende des Staates und der Gesellschaft sein.

Friedrich. Ach du und deine kategorischen Imperative! Es ist ja nicht so, dass die Bourgeoisie vorbildlich gehandelt hätte, wenn alle so handeln würden wie sie, wären wir alle längst weg.

Karl. Das ist der Grund, warum ich zivilen Ungehorsam nicht unterstützen kann... die Absicht mag gut sein, aber sie wird nur von wahnhaften Vulgärsozialisten benutzt, die niemandem zuhören wollen...

Albert. Das glaube ich nicht, Karl. Ich denke, dass es ein legitimes Mittel ist, die Bedenken der Menschen auszudrücken, so wie es mit den Atomwaffen gemacht wurde. Wieder einmal wurden die Fortschritte der Wissenschaft missbraucht und ausgenutzt, um die Menschheit ins Verderben zu stürzen, mit Massenproduktion, umweltschädlichen Transportmitteln und so weiter...

Konrad. Aber das ist kein Missbrauch. Das ist nur die natürliche Entwicklung der Menschheit.

Friedrich. Die Wirtschaft sollte nicht wichtiger als die Menschheit sein.

Konrad. Es gäbe keine Menschheit ohne Wirtschaft und Wissenschaft. Wir wären immer noch Höhlenmenschen!

Friedrich. Aber —


Rainer
und Stefan kommen herein

Rainer. Ah, wie verwunderlich, schon wieder Konrad und Friedrich…

Stefan. Immer streiten sich die beiden…

Karl, (lachend). Das ist, was man mit einem Sozialisten und einem Politiker bekommt.


Friedrich
und Konrad machen beide ein beleidigtes Gesicht. Rainer und Stefan setzen sich.

Hannah. Aber Immanuel, ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Ich verstehe deine Logik, dass es eine moralische Pflicht ist, dem Gesetz und dem Staat zu gehorchen, und dass es die notwendige Bedingung für die Existenz der Gesellschaft ist - aber was wäre, wenn dieses Gesetz und der Staat die Gesellschaft in den Untergang führen würden?

Immanuel. Das Gesetz ist das Gesetz, egal was passiert. Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz ist notwendig für die Freiheit von allen.

Hannah. Und wenn wir argumentieren, dass die Bürger nicht gegen das Gesetz verstoßen, sondern sich gegen die Untätigkeit ihrer Politiker auflehnen? Betrachtest du Staatsoberhaupt und Gesetz notwendigerweise als eine Einheit?

Albert. Ihre Untätigkeit ist schamlos und ziemlich ärgerlich. Ich selbst habe vielen von ihnen Briefe geschrieben, aber sie antworten nur selten, und wenn sie antworten, machen sie nur leere Versprechungen, die sie nie einhalten, und unternehmen nie wirklich etwas.

Konrad. Natürlich nicht, sie haben wichtigere Dinge zu tun, wie einen Staat und eine Wirtschaft zu führen. Wenn der Klimawandel ein echtes Problem ist, bin ich sicher, dass irgendwann Maßnahmen ergriffen werden.

Albert. Aber wir haben keine Zeit, die Menschheit rennt ins Verderben.

Friedrich. Und das ist alles die Schuld der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, die das Proletariat und den Planeten ausnutzt.

Immanuel. Nun meine Herren, lassen sie sich nicht hinreißen. Hannah, die Bürger schulden dem Grundgesetz Gehorsam, nicht dem Staatsoberhaupt. Aber sie können nur protestieren, indem sie blockieren und behindern, wenn es ein Recht ist. Aber das angeborene Recht ist nur eines: Die Freiheit. Also muss dieser Ungehorsam ein erworbenes Recht sein. Und wenn es ein erworbenes Recht wäre, würde es in der Verfassung stehen. Tut es aber nicht, also sollte ziviler Ungehorsam nicht sein.

Hannah. Dann schreib es doch in das Grundgesetz, wenn es das ist, was dich stört. Wir sollten alle das Recht haben, zu existieren.

Konrad. Im Grundgesetz? Du hörst nie auf, mich zu überraschen. Hast du überhaupt eine Vorstellung von den Konsequenzen? Es würde dazu führen, dass Extremismus und Gewalt legitimiert werden, und die Regierung wäre machtlos.

Albert. Konrad, bitte! Wir sprechen hier von zivilem Ungehorsam, nicht von einer vulgären Revolution. Um sich als solcher zu qualifizieren, muss es für eine definierte und legitime Sache sein, es muss kollektiv und öffentlich sein, und am wichtigsten, es muss gewaltfrei sein. Wenn wir diese Kriterien einhalten, sind Exzesse unmöglich.

Friedrich, (murmelt vor sich hin). Ich ermutige nicht dazu, aber Gewalt wäre angesichts der Ungerechtigkeit in dieser Welt nicht unverantwortlich...

Hannah. Nein, das ist sie. Aber um auf deine Bedenken einzugehen, Immanuel, die Teilnehmer müssen immer das Grundgesetz respektieren, gegen das sie protestieren, und wenn sie ein Gesetz brechen müssen, um zu protestieren, dann müssen sie sich dieser Verletzung schuldig bekennen und die Konsequenzen akzeptieren. Das Ziel des zivilen Ungehorsams ist es, die Gegner zu bekehren, indem man wahre Gerechtigkeit zeigt, und nicht ein unvernünftiges Chaos zu verursachen.

Immanuel. Hmm ... das ist sehr interessant. Ich werde noch etwas darüber nachdenken müssen.

Karl, (stehend). Nun, meine Herren - und meine Dame. Ich muss zugeben, dass ich anfangs skeptisch war, weil ich dachte, es sei nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Extremisten das öffentliche Leben stören, ohne wirklich etwas zu verändern. Aber sie haben mich überzeugt und jetzt glaube ich, dass diese Demonstranten eine Chance haben. Angesichts der unmittelbaren Bedrohung des Planeten und der Menschheit durch den Klimawandel und der Tatsache, dass unsere Politiker nicht handeln wollen, müssen wir uns Gehör verschaffen.


Alle gehen, außer Stefan und Rainer.

Rainer, (stehend, von Licht beschienen).
Die Erde bebt und rumpelt,
Fluten steigen, Meere verschwinden,
Korallenriffe sterben, Schnee schmilzt.
Die Erde verwelkt, wird aber nicht gesehen.

Wirbelstürme brüllen, Gletscher bröckeln lautstark,
Vögel fliehen - ihre Nester werden zerstört,
Feuer verbrennen den Regenwald bis auf die Mark.
Die Erde schreit, wird aber nicht gehört.

Menschliche Gier vernichtet mit rücksichtsloser Veränderung,
Wir bleiben taub und drücken ein Auge zu,
und verstecken uns hinter Bequemlichkeit und Verleugnung.

Wir müssen aufstehen und kämpfen mit Herz und Seele.
Lasst Liebe und Gerechtigkeit uns leiten,
Um die Erde und ihr Leben zu heilen.


Rainer
geht ab.

Stefan, (aufrechtstehend, von Licht beschienen). Die Welt, die wir kennen, geht unter. Wir sind Zeugen eines globalen Wandels, dessen Auswirkungen auf unser Leben unausweichlich sind. Die Wissenschaft warnt uns seit Jahren vor den Folgen des Klimawandels, aber wir haben nichts getan. Unsere Regierungen und Unternehmen haben versagt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Zukunft zu sichern. Wir stehen vor einer Katastrophe, die unser Überleben bedroht, und doch verharren wir in Trägheit und Gleichgültigkeit. Es ist an der Zeit für zivilen Ungehorsam. Lassen Sie uns den Mut finden, unsere Stimmen zu erheben und uns gegen diejenigen zu stellen, die unseren Planeten zerstören. Wenn wir weiterhin tatenlos bleiben, werden wir die Konsequenzen für immer zu spüren bekommen. Was wünschen wir uns für die Welt von Morgen?

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