Text 07 – 2020

Der Passant erwachte. Er stand auf, und planschte sich Wasser ins Gesicht. Noch ‘n Tag, sagte er sich, weder froh noch kalt. Er ging ins Café, und bestellte sich eine Wiener Melange. Dort sah er einen Geschäftsmann, der Müsli aß. Er war bestimmt ein erfolgreicher Mann, man könnte das an der großen Line Kokain, die vor ihm lag, erkennen. Der Passant dagegen hatte genug Geld, aber konnte es nicht so offen ausgeben wie dieser Typ. Der Passant schaute den Mann mit Verachtung an. Die Musik im Kaffeehaus war langweilig, weil die Regierung keine wirkliche Vorstellung von Musik hat. Seit vierzig Jahren ist es so, laut der Regierung war alle Kunst, Musik und Literatur verboten außer die von den staatlichen Künstlern. Die Regeln waren deutlich, aber der Passant wohnte da draußen. Er kannte sich mit den Regeln nicht aus. Er war seit zwanzig Jahren Rindfleischschmuggler, und trug jeden Tag ein großes Risiko der Todesstrafe. 

Warum machte er das dann, wenn es so gefährlich war? Der Passant war ein komischer Typ, der niemanden hatte in diesem Leben. Er war Profi, und alle seine Kollegen waren Strolche, mit denen er keine freundliche Beziehung hatte, und sie waren auf keinen Fall klug. Der Passant kannte sich in seinem Metier aus, er hat es von seinen toten Eltern gelernt als er Kind war. Die haben ihm kein wirkliches Training gegeben, sondern er hat alles vom Sehen gelernt. Er wusste, wie die Boote an der irischen Küste anzulegen waren. 

Als er im Kaffeehaus saß, war er sich sicher: Heute war ein sehr wichtiger Tag. Er wartete auf ein großes Schiff, und wenn es kommen würde, würde er den Rest des Jahres frei haben. Die Schiffsladung kam von Brasilien, sehr ähnlich der Drogenschiffe fast hundert Jahre zuvor, bevor sie legalisiert wurden. Der Passant bereitete sich vor, sein Hotelzimmer war fast leer, außer seiner sehr dunklen Kleidung. Er musste immer unsichtbar sein, wegen seines Jobs.

Seine Eltern waren Bauern, und sie lebten an einem fernen Ort in Westirland. Er erinnert sich manchmal an die Zeit vor der Regierung, als seine Eltern zusammen gesungen haben; seine Mutter spielte unheimlich gut Klavier, und sein Vater stand immer hinter ihr, und sang mit ihr. Sie haben nie auf Englisch gesungen, sondern in der himmlischen irischen Sprache; Gälisch. Die Sprache war so streng wie Fleisch verboten, weil die Regierung nichts davon verstehen konnte. Sie haben den Leuten gesagt, dass man nicht intelligente, komplizierte Gedanken auf Irisch denken könne, aber der Passant wusste, das war falsch. Er konnte nur Bahnhof verstehen, aber die Melodien, und die Nächte waren noch deutlich in seinem Kopf. 

Der Tag des großen Austauschs kommt, und der Passant war konzentriert, aber nicht nervös. Er hat das schon tausendmal getan, und wusste wie es geht. Das Boot kommt, drei Uhr morgens, und sein Team war fertig. Der Passant schafft das gerne, und trägt die Kisten zurück zum verlassenen Lagerhaus. Sie haben die Güter in der Stille der Nacht erfolgreich gepackt, und sie gingen alle wieder nach Hause, außer der Passant, der dablieb. Er hatte so viel Hunger, dass er ein Steak aus einer Kiste nahm, und aß es voll Blut und ohne die Eleganz, die er normalerweise hatte. Er konnte sich übrigens gut selbst kontrollieren, aber es war lange her seit er was Fleischiges gegessen hatte. 

Als er damit fertig war, ging er wieder nach Hause. Er übernachtete in einem hässlichen neuen Hotel aus Beton, aber sein Zimmer war groß genug. Sein Koffer war halbvoll mit dunkler Kleidung. Ihm gehörte nicht viel. 

Die Lichter flackerten im Kaffeehaus. Ein junger Kellner bediente den Passanten. Er sah nicht nur stark aus, sondern auch naiv. Der Passant sagte zu ihm: 'Deine Schuhe sind alt, Junge.' 'Man darf solche Sachen nicht rauswerfen', sagte der Kellner 'Wenn sie noch nicht zu schlimm sind.' Der Passant lächelte, und erklärte, warum. Der Junge war total überrascht, und traute sich nicht, die Geschichte des Mannes zu glauben. 

Eine Woche später fanden sie einander. Sie waren in einem Hotel in der Nähe von der nationalen Herde gesessen. Meistens wussten nicht von der Herde, wo sie war, und wie sie geschützt wurde. Aber der Passant wusste viel darüber. Der ehemalige Kellner sah jetzt schwächer aus als früher, und ernst. Die Regierung war auf gar keinen Fall tolerant, und wenn er gefasst wird, würde er nie wieder seine Freunde sehen, auch nicht seinen Vater. 

Er ging langsam in die Richtung der Herde. Es gab einen Stacheldrahtzaun um die Herde, aber der Passant hatte ihm vorher einen Ratschlag gegeben, und er suchte die Schwachpunkte des Zaunes. Er stieg über den Zaun, und lief so weit bis der Passant nichts mehr von ihm sehen noch hören könnte. Er zündete seine Zigarette an, und wartete auf eine Antwort. Am nächsten Tag packte er seinen Koffer. Er bekam kein irisches Rindfleisch von dem Jungen, und er musste nicht mehr bleiben. Er hörte die Melodie des Liedes in seinem Kopf, hinter seinen müden Augen. Das Lied, das seine Mutter immer mit seinem Vater am Klavier gesungen hatte. Ein Lied in einer jetzt verbotenen Sprache.

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