[Kleine Freundschaften – Saskia Cookson]
Kleine Freundschaften brauchen keine Sprache.
Das dachte sich die Lehrerin, als sie eines Morgens die Namensliste durchging.
Osman, Oskar, Zusanna, Hanna.
Alle diese Kinder kommen aus verschiedenen Familien,
haben verschiedene Muttersprachen
und erleben die Welt anders.
Aber sie haben gemeinsam, dass ihre Gefühle noch nicht verborgen sind,
noch nicht in Worte gewickelt werden.
Eine Geste ist einfach genug.
Elke, Amira, Matija, Jovan.
Ein Streit zeigt seine Fratze
(über ein kaputtes Spielzeug, oder einen Fußball im Gesicht).
Aber ihr Ärger, ihre Uneinigkeit, ihr Konflikt
werden noch nicht durch einen Schwall
bedauerlich beißender Worte ausgedrückt.
Sie wurden noch nicht von der Idee geprägt, dass Unterschiede schlecht sind.
Ein absichtlicher Spritzer Wasser, ein Stampfen auf eine Sandburg,
ein winziger Ellbogen in den Rippen ist einfach genug.
Ibrahim, Ben, Jakub, Lina.
Versöhnung ist auch nicht so kompliziert;
das Angebot eines halben krümeligen Kekses,
das Angebot einer ausgestreckten Hand, die ihnen hilft, wieder aufzustehen,
das Angebot der nächsten Runde auf der Schaukel.
Wie alt bist du, wenn du Worte brauchst, um die Welt zu verstehen?
fragte sie sich. Und könnte es nicht einfacher sein?
Hassan, Hanna F., Paul, Jonas.
Wie komisch ist es,
dass Sprache als das große Werkzeug der Vermittlung, der Verständigung angesehen wird.
Dann erhascht man einen Blick auf diese Kinder, deren Gesten größere Bände als ihre Worte sprechen und die die Sprache des anderen nicht vollständig kennen müssen, um sich gegenseitig zu verstehen.
Kleine Freundschaften brauchen keine Sprache,
dachte sie sich wieder, und lächelte sanft.
Wir könnten etwas von ihnen lernen, und wir sollten es tun.