[ Ein perfektes Paar ]
Ein perfektes Paar. Wie aus einem dieser unrealistisch romantischen Filme. Einer lachte. Der andere rollte seine Augen und lächelte, und zerquetschte die Hände seines Freundes. Sie sprachen und füllten das relativ ruhige Café mit dieser Art Energie, die nur junge, frisch Verliebte haben. Der Raum, der ansonsten mit einem Mann, vergraben in seiner Zeitung, einem anderen, der einen Kaffee trank, einer jungen Frau, die leise auf ihrem Computer tippte, und einem beschäftigten Barista gefüllt war, schien nur eine Kulisse für ihre Unterhaltung zu sein.
„Du siehst so süß aus, wenn du nervös bist“, sagte Stefan.
„Mindestens kann ich dich mit meinem Leiden unterhalten“, entgegnete Jonas sarkastisch.
Stefan grinste: „Natürlich.“. Er küsste ihn leise auf die Wange. „Los geht’s. Du willst an deinem ersten Tag doch nicht zu spät kommen!“
Sie dankten dem Barista. Draußen bückte sich Stefan, um eine schwarz-weiße Katze zu streicheln, die immer vor dem Café zu liegen schien, seit sie dorthin gegangen waren. „Wir werden dich eines Tages nach Hause mitnehmen, mein Hübscher.“
„Wenn du das immer sagst, wird sie uns wirklich einmal nach Hause folgen“, sagte Jonas.
„Hoffentlich“ antwortete Stefan lässig.
Jonas nahm seine Hand. „Jetzt wirst du der Grund dafür, dass ich zu spät komme, Schatz.“
Stefan erhob sich nur ungern und sie ließen die völlig gleichgültige Katze faul beobachten, als sie weitergingen und sich unterhielten, und schließlich von den Massen der belebten Straße verschluckt wurden.
„Zum Wohl!“, riefen ihre Freunde am folgenden Abend, die sich alle um den kleinen Esstisch drängten, mit Weingläsern in ihren Händen. Der warme Schein des Deckenlichts umschloss ihre lebhafte Unterhaltung, die gegen das tiefe Summen des städtischen Abends orchestriert wurde. Stefan hatte ein paar ihrer engsten Freunde zu feiern eingeladen; und erstaunlicherweise war Jonas nicht so abgeneigt wie üblich.
„Also, macht ihr es endlich?“, stieß Beth, Jonas’ langjährige Freundin, hervor.
„Du kommst nicht mit, also musst du dir darüber keine Sorgen machen,“ antwortete Jonas. Beth grinste und steckte ihre Zunge heraus.
„Reden sie über dieses ‚Zeitreise-Paket‘?“, fragte ihr anderer Freund, Magnus.
„Hoffentlich, ja.“ Stefan lächelte aufgeregt.
„Es ist noch weit entfernt von einem putzigen kleinen ‚Zeitreise-Paket‘!“, unterbrach Adrianne, und verschüttete fast ihren Wein.
„Ich habe nur gesagt, wie die Firma es nennt“, nuschelte Magnus.
„Keine Sorge“, kicherte Jonas. „Wir sollten die Wissenschaftlerin sprechen lassen. Sie würde möglicherweise zerplatzen, wenn wir es nicht tun.“
„Ich sage nur, der Höhepunkt menschlicher wissenschaftlicher Entdeckung als einfach nur ein ‚Zeitreise-Paket‘ zu bezeichnen, ist eine grobe Untertreibung und, ganz ehrlich, eine Ungerechtigkeit.“ Adrianne fuhr fort: „Es ist eine Beugung der Raumzeit durch die Entwicklung eines künstlichen Wurmlochs, um dich zurück in eine ‚Zeit‘, oder präziser, an eine bestimmte Stelle im vierten dimensionalen Raum zu schicken, den du besuchen möchtest. Und selbst dann ist diese eine sehr vereinfachte Erklärung von einem unendlich komplizierteren Prozess. Ich mache meinen ganzen Doktortitel über Wurmlöcher und Quantenverschränkung und ich kann es gerade noch begreifen!“
„Und nach all dem lassen sie dich nur für ein paar mickrige Stunden bleiben?“, fragte Beth.
„Wenn du nicht möchtest, dass dein Körper der Quantenverschränkung erliegt und auf der subatomaren Ebene zusammenbricht, bis der vierte dimensionale Raum dich ganz verschluckt?“, entgegnete Adrianne sardonisch.
„Eine Menge junger Paare machen es heutzutage“, fügte Magnus hinzu. „Es wird langsam das neue ‚exotische‘ Urlaubsziel.“
„Ich weiß nicht, ob wir etwas so ‚Exotisches‘ auf unserer Reise machen werden.“ Stefan lachte. „Aber wir planen es schon, seit es angekündigt worden ist.“ Er strahlte Jonas an, der verschämt zurückgrinste. „Für unser fünfjähriges Jubiläum.“
„Apropos Planung,“ warf Magnus ein, „Habt ihr entschieden, wie ihr mit den Zeitzonen zurechtkommen wollt, wenn Stefan bei der neuen Firma beginnt?”
„Was?“ antwortete Jonas verwirrt.
„Warte, ich glaube, Magnus ist verwirrt“, fing Stefan an.
„Meinst du die Firma, über die wir schon geredet haben und bei der du dich schon entschieden hast, nicht zu arbeiten?“ Jonas‘ herzlicher Ausdruck verwandelte sich allmählich in Verwirrung und wachsenden Zorn.
„Jonas, das würde ich lieber später besprechen, ich will dir alles erklären“, fing Stefan nochmal an, wie ein fehlzündendes Gewehr.
„Die Firma in dem Land, das am anderen Ende der Welt liegt?!“, schrie Jonas.
„Nicht jetzt, Jonas!“, Stefan schrie zurück, und erhob sich, um Jonas‘ übersprudelnden Zorn auszugleichen. „Das geht nur uns etwas an!“
„Sicherlich nicht, wenn du es schon Magnus erzählt hast!“ Der Ton schallte durch das Schweigen des Raumes, in dem die Spannung bereits brodelte.
„Nun“ sagte Beth vorsichtig, und schnitt durch die Stille wie ein Messer durch warme Butter. „Was auch immer es ist, ihr müsst es offenbar dringend besprechen. Wir sollten jedenfalls gehen.“
„Nein, wartet bitte!“, protestierte Stefan.
„Alles in Ordnung“, beruhigte Beth, „Es war trotzdem ein toller Abend.“
„Bis später!“ Die Tür schloss sich mit einer ahnungsvollen Schwere. Stefan stand auf, Tränen brannten ihm in den Augen.
„War es so schwer, bis später zu warten?“
Jonas fing zu putzen an.
„Und jetzt, wo sie weg sind, bist du still? Unglaublich.“
„Was unglaublich ist, ist, dass du Magnus vor mir von deinem plötzlichen Sinneswandel erzählt hast“, schlug Jonas zurück. „Was unglaublich ist, ist, dass du mit anderen hinter meinem Rücken darüber gesprochen hast! Hast du nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um es auch mich wissen zu lassen?“
„Natürlich hätte ich es mit dir besprochen!“, blaffte Stefan. „Aber jedes Mal, wenn ich es versucht habe, hast du es abgeblasen. Was hätte ich tun sollen? Du warst immer so auf deine eigene Arbeit fokussiert, dass du nicht einmal in Betracht gezogen hast, dass ich diese Gelegenheit vielleicht gerne wahrnehmen möchte.“
„Du sprichst als ob ich komplett verschlossen wäre! Du hattest nur zu viel Angst vor dem, was ich sagen würde. Dass ich vielleicht gerne eine Zukunft mit meinem Freund gehabt hätte, in der wir, gottbewahre, in demselben Land gelebt hätten!“
„Weil es ganz unmöglich wäre, mit mir zu kommen?!“
„Nun, dass ich gerade meinen Traumjob bekommen habe, macht das ein bisschen schwierig, oder?! Es ist, als wolltest du es noch komplizierter machen.“
„Ich habe es getan, um deine gottverdammten Gefühle zu schützen!“
„Um meine oder deine zu schützen, verflucht?!“
Stille. Eine schwere, giftige Stille, die gegen die Wände des Raumes drückte, und alle beide zu ersticken gefährdete. Dreißig Sekunden. Eine Minute. Eine Totenglocke begann langsam zu klingen. Stefan griff nach seinem Mantel und ging schwerfällig zur Tür. „Ich bleibe nicht hier mit einer Person, mit der ich mich nicht auf eine gemeinsame Zukunft einigen kann.“ Er wischte sich die glühenden Tränen, die ihm über seinem Gesicht liefen, ab. Die Totenglocke wurde besorgniserregend lauter.
„Du machst wohl einen großen Fehler, wenn du aus dieser Tür gehst!“, platzte Jonas heraus, mit einem Kloß in seinem Hals. „Sei nicht leichtsinnig.“
„Vielleicht, waren wir schon zu leichtsinnig.“ Die Tür schloss sich zum zweiten und letzten Mal in dieser Nacht.
Sechs Monate später. Jonas wurde in einer außerirdisch aussehenden Kapsel festgeschnallt.
„Sie sind mutig, es allein zu machen. Die meisten würden es nicht tun“, sagte eine freundlich wirkende Frau in einem weißen Firma-bestickten Laborkittel.
Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Ich vermute, ich bin nicht wie die meisten.“
Sie lächelte ausdruckslos und fing an die Anweisungen zu erklären. „Sie haben sechs Stunden. Sie können früher zurückkommen, wenn Sie wollen. Wenn Sie zurückkommen wollen, drücken Sie den Knopf an Ihrem Quantenband dreimal und warten Sie auf das Frequenzsignal. Sprechen Sie nie mit Ihrem jüngeren Selbst. Sie können…“
Ihre künstliche Begeisterung rückte in den Hintergrund. Sein Fokus war linear, und verzweifelt. Die Sequenz begann mit einem kleinen Summen. Er bereitete sich vor. Das kleine Summen schwoll plötzlich zum Crescendo an. Es gab einen lauten Knall und Jonas schnappte nach Luft als seine Sehkraft in ein blendendes Weiß getaucht wurde.
Und dann war er dort. Endlich dort. Er bog ab und sah die vertraute Straße. Ein ebenso vertrauter Schmerz klang in ihm nach. Er kontrollierte seine Uhr und ging die Straße hinunter, bis er zu einem liebenswerten, fast unscheinbaren Café kam. Neben der Tür streckte sich die schwarz-weiße Katze aus, die immer vor dem Café zu liegen schien, seit er dorthin gegangen war. Drinnen bestellte er einen schwarzen Kaffee und setzte sich. Er bemerkte eine Zeitung auf dem Tisch und nahm sie, um wenigstens beschäftigt zu wirken. Ein anderer Mann setzte sich mit seinem eigenen Kaffee hin, aber er nahm ihn nicht einmal wahr. Er wartete nur auf sie.
Und dann, öffnete sich die Tür und ein junges Paar tauchte auf. Für einen Sekundenbruchteil stand die Zeit still. Er vergaß fast zu atmen. Sie setzten sich und begannen, miteinander zu reden. Er schnappte nach Luft und hörte zu. Unerschütterlich, jedem Wort.
Die Sonne war gerade untergegangen. Jonas wusste, dass das Ende nahe war. Fünf Minuten, bis sie aus dieser Tür gingen. Fünf Minuten, bis er dies nur in seiner Erinnerung wieder erleben konnte. Als er der Unterhaltung folgte und jedes einzelne Wort mitbekam, spürte er eine Trockenheit in seinem Mund.
„Was für ein perfektes Paar“, sagte er zu sich selbst, als sie aus der Tür des Cafés gingen, die Trauer zwischen seinen Rippen festgeklemmt.
„Das waren wir doch, oder?“, antwortete der andere Mann, der zittrig mit zwei Kaffees in seinen Händen vor ihm stand.