[ Leonidas’ Echo ]
Leonidas lag in Neonlicht getaucht auf einem Krankenbett des Akron-Klinikums. Seine müden Augen konnten durch seine zusammengekniffenen Lider den Umriss einer Gestalt ausmachen, doch er versuchte nicht, sie zu erkennen. Er wusste, was ihm blühte. Der Eingriff, der ihm bevorstand, war ein Wunder der modernen Wissenschaft, das für die reiche Elite zur Routine geworden war. Kopftransplantationen, einst eine Randwissenschaft, waren das ultimative Statussymbol. Ein Mittel, um den Tod auszutricksen und die berauschenden Gefühle der Jugend zu verlängern. Am anderen Ende des sterilen Raumes richtete Theodor Talbot, Geschäftsführer von Talbot Industries, seine Manschettenknöpfe. Sein gestrafftes Gesicht verriet nichts davon, was er in den vergangenen 120 Jahren gesehen hatte. In seinen Augen lag ein räuberischer Blick. Leonidas’ Körper würde innerhalb der nächsten Stunden zu seinem werden – das dritte sorgfältig gewählte Upgrade. Das Klinikum, fernab vom Elend der Stadt, war ein Pilgerort für alle, die verzweifelt versuchten, ihre Position und Macht in der Gesellschaft zu schützen: Promis, Politiker, jene, die vom Leben nicht genug kriegen konnten. Zu Füßen des Klinikums zerbrach die Bevölkerung langsam an den Regeln einer Gesellschaft, die nicht für sie gemacht war.
Die Nachricht von Talbots neuester Transplantation hatte in den sozialen Medien für Aufruhr gesorgt. Junge Aktivisten, deren Körper die Narben von Praktiken trugen, die als „annehmbare Risiken“ eingestuft wurden, hatten Missstände und Ungleichheiten angeprangert.
Im Radio lief eines Tages ein Bericht über einen Protest vor den Türen des Akron-Klinikums. Eine junge Frau sprach mit bebender Stimme darüber, wie die Reichen ihre Privilegien bis über den Tod hinaus mit sich trugen und den Armen nicht nur das Recht auf ein würdiges Leben, sondern auf ein würdiges Ende verweigerten. Leonidas, eine kopflose Seele, gefangen in einem Körper, der nicht mehr sein war, hatte noch nicht aufgegeben. Talbot lächelte spöttisch, doch sein Hohn sollte nicht lange anhalten, denn Talbot bemerkte eine Veränderung in sich. Sein Körper wollte ihm nicht mehr so recht gehorchen, er verlor immer öfter den Faden und wichtige Geschäftspartner verließen kopfschüttelnd Meetings mit ihm. Auf dem Tennisplatz verpasste er entscheidende Schläge, was ihm verwirrte Blicke seiner Kollegen einbrachte, und selbst kurze Spaziergänge wurden zu Odysseen. Der Frust brodelte in ihm. Sein gestohlener Körper, einst eine Trophäe, fühlte sich nun wie ein schlecht sitzender, geliehener Anzug an. Sein Zusammenbruch bei der jährlichen Gala von Talbot Industries war der Höhepunkt von Leonidas’ stiller Rebellion. Nachdem Talbot mit trübem Blick verwirrt brabbelnd von der Bühne gestolpert war, waren die Nachrichten voll davon gewesen.
Leonidas beobachtete alles mit stiller Genugtuung. Er konnte sein eigenes Leben nicht zurückfordern, aber er konnte das von Talbot zu einem Albtraum machen. Ein Leuchtfeuer des Trotzes, inmitten der unterdrückten Massen. Der Kampf war noch lange nicht vorbei. Das Akron-Klinikum blieb ein glänzendes Denkmal der Ungleichheit, aber zum ersten Mal flackerte Angst in den Augen der Elite. In den Schatten der Stadt hallte eine Botschaft wider: Selbst die Mächtigsten konnten durch die stille Rebellion der Körper zu Fall gebracht werden. Ihre Unantastbarkeit war gläsern. Talbots Fall wurde zum Ansporn der Bewegung und Leonidas, der stille Rebell, zum Symbol der Stimmlosen.